Weltwassertag: Interview mit Maude Barlow (2016)

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Der 22. März ist WorldWaterDay, der Weltwassertag. Er soll unser Bewusstsein darüber schärfen, dass sauberes Trinkwasser ein knappes Gut ist, das durch Umweltverschmutzung und Klimawandel bedroht ist. Und zwar so gut wie überall auf der Welt. Die kanadische Umweltaktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Maude Barlow ist eine der weltweit bekanntesten Kämpferinnen und für den Schutz dieser Ressource. Sie war wesentlich daran beteiligt, dass durch die UN-Resolution 64/292 das Recht auf Wasser am 28. Juli 2010 als ein Menschenrecht anerkannt worden ist. 2016 hatte ich die Chance, sie zusammen mit dem damaligen Chefvolkswirt der KfW, Jörg Zeuner, zu interviewen.

„Wir sind in einem Wettlauf mit der Zeit“

Die Kanadierin Maude Barlow kämpft an vielen Fronten für mehr Wassergerechtigkeit. Mit KfW-Chefökonom Jörg Zeuner diskutiert die Trägerin des Alternativen Nobelpreises über Wege aus der Wasserkrise.

Frau Barlow, in Ihrem neuen Buch „Boiling Point“ schreiben Sie, dass wir vor unserer eigenen Haustür mit Wasserproblemen zu kämpfen haben, die wir bisher immer als Themen der Dritten Welt bezeichnet haben. Das Buch handelt von Kanada, das mit seinen Seen und Flüssen genug Wasser haben sollte. Was ist da los?
MAUDE BARLOW Es gibt kein wasserreiches Land auf der Welt, das nicht in Schwierigkeiten ist. In China sind seit 1990 mehr als die Hälfte der Flüsse verschwunden. Brasilien gilt als das Land mit dem meisten Wasser der Welt. Dort herrscht im Süden eine riesige Dürre, weil am Amazonas so viel Regenwald abgeholzt wurde. Und Nordamerika ist in echten Schwierigkeiten. Kanada und die Vereinigten Staaten werden beide zu den zehn wasserreichsten Ländern der Welt gezählt, aber in Alberta geht uns das Wasser aus. Die Großen Seen ziehen sich zurück. Lake Winnipeg, der zehntgrößte See der Welt, ist das am meisten bedrohte Binnengewässer der Welt.

Sie schreiben nicht nur von ökologischen, sondern auch von sozialen Problemen.
BARLOW Ja, ich rede auch davon, dass armen Menschen von ihrem Versorger das Trinkwasser abgedreht wird. Wir dachten immer, keinen Zugang zu Wasser zu haben sei ein Problem aus dem Süden der Welt. Aber auch hier in Europa gibt es Tausende von Menschen, deren Wasserzugang gesperrt wurde. Gleiches passiert in vielen Städten in den Vereinigten Staaten.

Herr Zeuner, ignorieren wir in unserer europäischen Wahrnehmung, dass die Wasserversorgung auch bei uns kritisch werden könnte?
JÖRG ZEUNER Ich würde es nicht „ignorieren“ nennen, aber woanders erscheinen die Probleme einfach dringender, etwa im Nahen Osten. Gleichzeitig sehen wir durch den Klimawandel Auswirkungen auf alle Länder, auch Deutschland. Wir werden Regionen haben, in denen das Wasser künftig knapper wird. Und andere, wo mehr Regen fallen wird, was wiederum eigene Herausforderungen mitsichbringt, etwa in Hinblick auf den Schutz vor Überschwemmungen.
BARLOW Aber ich möchte Europa beglückwünschen, denn ich denke, dass die Europäer sich definitiv besser um ihr Wasser gekümmert haben als wir in Nordamerika.
ZEUNER Ich nehme das Kompliment einfach mal im Namen Europas an. Es stimmt, wir sind in einigen Bereichen weit gekommen. Wir haben auch aus Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gelernt – denken Sie an Verschmutzungen der Flüsse in den sechziger und siebziger Jahren, in denen man in den Gewässern nicht mehr schwimmen konnte. Und diese Erfahrungen sollten wir nun global nutzen, um verantwortungsbewusst mit der Ressource Wasser umzugehen.

Frau Barlow, Sie bezeichnen sich selbst als „Wasser-Kriegerin“. Was meinen Sie damit?
BARLOW Das bedeutet, dass ich und meine Mitstreiter für Wassergerechtigkeit kämpfen. Es gab tatsächlich bereits Wasserkriege, angefangen mit dem in Cochabamba in Bolivien in den späten neunziger Jahren. Aber Wasser ist ein Bestandteil in vielen Konflikten. „Wir“, das ist zum Beispiel der Council of Canadians, Kanadas größte Bürgerrechtsvereinigung, der ich vorstehe. Wir haben über hunderttausend Mitglieder und kämpfen für fairen Handel, für den Wasserschutz und für Klimagerechtigkeit. „Wir“, das sind aber auch Aktivisten rund um den Globus.

Es gibt international viele Konflikte entlang des Wassers, etwa zwischen den Atommächten Indien und Pakistan. Droht uns in naher Zukunft ein größerer Krieg ums Wasser?
BARLOW Ja, ich glaube, dass es im Moment bedrohliche Anzeichen für ernsthafte Spannungen zwischen Indien und Pakistan gibt. Auch die Beziehung zu dem großen Nachbarn China ist angespannt. Aber ich sehe noch mehr. Indien ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie trotz begrenzter Wasserquellen die wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben wird – leider ohne dabei die Bedürfnisse einfacher Menschen zu berücksichtigen. So entstehen Konflikte zwischen der Leistungsfähigkeit der Natur und menschlichem Handeln und Streben. Das wird zudem überlagert vom Konflikt zwischen Reichen und Armen. Wir sehen gerade, dass all diese Konflikte zusammenkommen.
ZEUNER Ich bin optimistischer. Bei klaen Interessenkonflikten sollte Trinkwasserversorgung in der Tat den Vorrang haben. Aber wir brauchen wirtschaftliche Entwicklung auch und gerade, weil Ressourcen knapp sind. Denn wenn das Wasser aufgebraucht ist, nützt das weder der Wirtschaft noch den Privathaushalten oder den Regierungen. Meine Hoffnung ist, dass der Wassersektor ein sehr überzeugendes Beispiel dafür sein wird, wie Zusammenarbeit zum besten Ergebnis führt. Integrierte Wasserressourcen-Management-Systeme sind wichtig, in denen alle Beteiligten ein gerechtes und nachhaltiges System definieren, in dem jeder seinen Wasseranteil nutzen kann.

Das ist nicht immer einfach, etwa in instabilen Regionen oder wenn über Grenzen hinweg verhandelt werden muss.
ZEUNER Natürliche Wasserscheiden folgen tatsächlich nicht den politischen Grenzen, deshalb müssen viele Verhandlungen grenzüberschreitend sein. Das kann aber funktionieren. In Jordanien werden Wasserprojekte mit einer langfristigen Perspektive in die Zukunft geplant und mit Rücksicht darauf, wie es Nachbarn betrifft. Wir haben gute Projekte in Ostafrika, wo die Wasserwirtschaft zumindest auf einer gewissen Ebene grenzübergreifend entschieden wird. Das sind gute Beispiele.

Sie erwähnen Jordanien. Dort wird, wie auch im Mittleren Westen der USA, für die Landwirtschaft mit tiefen Brunnen fossiles Wasser gefördert. Diese sogenannten Aquifere sind vor vielen tausend Jahren entstanden und erneuern sich nicht. Was passiert, wenn die Vorkommen ausgebeutet sind?
BARLOW Wir müssen verstehen, dass wir uns in einem Wettlauf mit der Zeit befinden. Die Nachfrage nach Wasser in unserer Welt steigt, und die Süßwasservorkommen sinken. Wir verbrauchen zu viel Grundwasser und verdoppeln den Bedarf alle zwanzig Jahre. Dieser Wassermissbrauch ist zerstörerisch. Am Tag 59 sieht es noch gut aus, aber am Tag 60 ist das Wasser weg.

Können Sie das konkretisieren?
BARLOW Der Ogallala Aquifer in Nordamerika war einst einer der größten Aquifere der Welt. Das US-Landwirtschaftsministerium sagt, er wird noch während unserer Lebenszeit verschwinden. Und wofür nutzen wir dieses Wasser? Wir bauen Mais auf riesigen Industriefarmen an, nur für Mais-Ethanol. Man braucht rund siebzehnhundert Liter Wasser, um einen Liter Mais-Ethanol herzustellen. Das ist Verschwendung dieser Landwirtschaftsflächen und des Wassers. Wir müssen grenzüberschreitend handeln und die Frage beantworten: „Wie wirkt sich das auf die Umwelt und das Wasser aus?“ Sonst werden wir uns schon bald in einer bedenklichen Situation wiederfinden. Wir reden hier über die sehr nahe Zukunft, und ich mache mir große Sorgen darüber. Die Regie¬rungen fördern Handelsabkommen und den Export billiger und wasserintensiver Lebensmittel. Aber niemand fragt: Welchen Einfluss hat das auf das Wasser?
ZEUNER Die Landwirtschaft ist wahrscheinlich in den meisten Ländern der größte Konsument von Trinkwasser. Es lehrt uns, um das noch einmal zu betonen, warum alle einbezogen werden müssen in die Gestaltung eines Wassersystems und in die Verabschiedung jener Regeln, die darüber entscheiden, wer wie viel Wasser verwenden darf. Und da spielt der Preis eine große Rolle. Ich finde, Wasser muss einen Preis haben. Wasser wird eines der knappsten Güter überhaupt sein, es ist eben nicht umsonst und unbegrenzt zu haben, wie wir vielleicht lange geglaubt haben. Um Wasserverschwendung zu vermeiden, sollten die meisten Nutzer eine Gebühr zahlen. Das bedeutet nicht, dass es nicht arme, schwache Gesellschaftsmitglieder gibt, die nichts bezahlen und trotzdem Zugang zu Wasser haben. Das Versorgungssystem muss kostendeckend und mit möglichst wenig Wasserverlust arbeiten. Das ist eine große Aufgabe.
BARLOW Ich bin nicht gegen eine Servicegebühr, mache aber einen Unterschied: Sie zahlen für den Service, nicht für das Wasser. Und denjenigen, die nicht bezahlen können, da sind wir uns einig, darf der Zugang nicht verweigert werden. Wir müssen die Wasserversorgung vom Profitdenken freihalten, sie muss öffentlich verwaltet werden.

Mit der Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser und Sanitärversorgung durch die Vereinten Nationen im Jahr 2010 rückte diese wichtige Ressource in den Fokus der Weltgemeinschaft. Frau Barlow, Sie waren wesentlich an der Durchsetzung der Resolution beteiligt, wird sie etwas verändern?
BARLOW Es ist hart, in der UN etwas durchzusetzen. Aber in diesem Fall gab es ein Bewusstsein, dass wir es hier mit einer doppelten Krise zu tun haben, einer ökologischen und einer humanitären. Wir können die humanitäre Krise nicht lösen, ohne uns den ökologischen Fragen zu stellen. Wenn unser Oberflächenwasser verschmutzt ist und uns das Grundwasser ausgeht, können wir auf der Welt keine Gerechtigkeit durchsetzen. Und ich denke, das wird von vielen Akteuren verstanden. Deutschland war übrigens eines der führenden Länder hinter der Resolution zum Menschenrecht auf Wasser. Wir erleben einen grundsätzlichen Wandel in unserer Beziehung zum Wasser, und das stimmt mich sehr hoffnungsvoll.

Tröpfchenbewässerung kann in der Landwirtschaft viel Wasser sparen, auch Entsalzungsanlagen helfen sehr. Brauchen wir mehr Technik, um die Ressourcen zu bewahren?
ZEUNER Innovation ist eine sehr gute Sache, technischer Fortschritt ist sehr wichtig. Wir brauchen neue Ideen und müssen schauen, wo wir sie anwenden können. Und Voraussetzung für Effizienz und Nachhaltigkeit ist immer ein professionell organisiertes Wassersystem, auch mit Ideen und Methoden aus der Privatwirtschaft. Wir haben gerade in Deutschland viele Ideen und große Erfahrung. Aber die Wissensbasis der internationalen Projektpartner muss bei der Anwendung dieser Technologien berücksichtigt werden. Vor allem in der Abwasserklärung kann man sehr erfolgreich mit einfachen Technologien beginnen und dann darauf aufbauen. So gelangt man auf ein immer höheres Niveau, das heißt zu sauberem Wasser.
BARLOW Es ist wichtig, angemessene Technologie einzusetzen. Ich habe einen Ort namens Salisbury in Südaustralien besucht. Dort sollte eine energieintensive Entsalzungsanlage gebaut werden, aber die Bürger haben Nein gesagt. Stattdessen gibt es dort jetzt hundert Feuchtgebiete, die den Starkregen sammeln, das Wasser reinigen und speichern. Mittlerweile haben sie so viel Wasser, dass sie es verkaufen können. Sie haben die Wüste begrünt, haben Vogel- und Tierarten, die vorher nie dort waren. Viele Menschen kommen, um von dem Projekt zu lernen. Und es ist wirklich einfache, alte Technik.

Wenn Sie ein wenig in die Zukunft schauen, was für eine Welt sehen Sie? Sehen Sie eine Welt voller Umweltkonflikte und Wasserkriege, oder sehen Sie eine globale Gemeinschaft, die gelernt hat, ihr natürliches Erbe zu verwalten?
ZEUNER Es gibt Konfliktpotenzial, aber ich sehe auch hier viele Chancen, besonders wenn es um knappe Ressourcen geht. Die beste Lösung ist eine kooperative. Deshalb bin ich letztendlich fest davon überzeugt, dass wir zusammenkommen und erkennen werden, dass dies für uns alle das Beste ist.
BARLOW Ja, ich stimme dem voll und ganz zu. Ich sehe Wasser als potenzielles Geschenk der Natur, um uns zu lehren, wie wir anders, und vielleicht leichter, auf der Erde leben können. Uns Kanadiern ist das Erbe unserer Ureinwohner sehr bewusst. Es lehrt uns, das Wasser zu lieben. Nach unserem Verständnis sind wir verantwortlich für sieben Generationen nach uns und müssen den Ort, an dem wir geboren sind, in mindestens so gutem Zustand zurücklassen, wie wir ihn vorgefunden haben.

Was macht Ihnen Hoffnung, dass bald mehr Menschen so denken?
BARLOW Ich habe erlebt, wie lange es gedauert hat, bis sich die Einstellung gegenüber den Frauenrechten geändert hat. Aber wir wissen, es geht, wir können uns ändern. Wir sind imstande, das Wasser zu respektieren, und können lernen, uns besser als bisher um das Wasser zu kümmern.

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Motto des Weltwassertags 2022 ist übrigens: „Groundwater: Making the Invisible Visible“ – „Unser Grundwasser: der unsichtbare Schatz“

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