Titel Cover Kundenmagazin concepts by Hochtief Ausgabe 2/2018 Chefredaktion Torsten Meise

Titel concepts Ausgabe 2/2018

Welche Wirkungen haben große Infrastrukturprojekte? Diese Frage habe ich mit Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl von der Zeppelin Universität Friedrichshafen erörtert. Der Nachhaltigkeitsforscher ist auch Leiter des European Center for Sustainability Research und in dieser Funktion einem Ansatz verpflichtet, der unter Nachhaltigkeit nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte subsumiert.

Wie sich Infrastruktur auswirkt

Der Grund für dieses Interview und diese Fragestellung war die Titelgeschichte des aktuellen Kundenmagazins concepts by Hochtief, das soeben erschienen ist. Darin haben wir Beispiele gezeigt, wie einzelne Infrastrukturprojekte weitreichende und positive Folgen für eine Gesellschaft haben können – selbst wenn sie im Vorhinein höchst umstritten waren. Bestes Beispiel hier die ist die von Hochtief im Jahr 2000 fertiggestellte Öresund-Brücke zwischen Kopenhagen und Malmö. Sie hat nicht nur dazu geführt, dass vor allem die schwedische Seite wirtschaftlich aufgeblüht ist, sie hat auch einen Güterverkehrskorridor inspiriert, der von Skandinavien bis nach Sizilien reichen soll, und der in Teilen bereits gebaut worden ist.

Torsten Meise und Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl

Torsten Meise und Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl

Protest als Erscheinung komplexer Gesellschaften

Selbst wenn sich eine Menge solcher Beispiele aufzählen lassen, so verfestigt sich doch der Eindruck, dass es in der Gegenwart deutlich schwieriger geworden ist, selbst kleine Projekte umzusetzen. Der Protest ist quasi vorprogrammiert, und ja auch selten nicht unberechtigt. Auch um hier zu einer besseren Grundlage zu kommen, forscht Prof. Moldaschl an Methoden und Ansätzen, die vielfachen Wirkungen von Infrastrukturprojekten zu beurteilen, was auch zu besseren Planungen und Umsetzungen führen soll. Der Versuch, Vorhaben ganzheitlich zu erfassen und auch gemeinsam mit den Stakeholdern, also auch den Betroffenen zu klären, könnte wegweisend sein und damit auch für ein Unternehmen wie Hochtief interessant.

Interview Prof Dr. Dr. Manfred Moldaschl, Torsten Meise Kundenmagazin concepts by Hochtief 2018

Interview: Nachhaltigkeit und Infrastruktur

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„Es kann nicht nur um Technik und Wirtschaftlichkeit gehen“

Welche Wirkungen haben große Infrastrukturprojekte? Und wie sollten sie angegangen werden, um Akzeptanz zu finden und auf verschiedenen Ebenen möglichst großen gesellschaftlichen Nutzen zu schaffen? Gemeinsam mit dem European Center for Sustainability Research (ECS) der Zeppelin Universität Friedrichshafen möchte HOCHTIEF mehr zu diesen Fragen herausfinden. ECS-Direktor Prof. Manfred Moldaschl erläutert im Gespräch mit concepts-Chefredakteur Torsten Meise, was hinter dem Projekt steckt.

Herr Prof. Moldaschl, Sie begleiten derzeit bei HOCHTIEF ein Forschungsprojekt zur Bewertung von Auswirkungen im Bauprozess. Worum geht es dabei?

Es geht um die vielbeschworene Nachhaltigkeit. Dazu muss ich jedoch vorausschicken: Für mich ist Nachhaltigkeit nicht einfach das „Umweltthema“. Unser European Center for Sustainability Research ECS ist ein wenig aus Opposition gegenüber der Dominanz der, wie wir es nennen, „grünen Nachhaltigkeit“ entstanden. Es ist für uns vielmehr ein grundsätzlich soziales und kulturelles Thema.

Das heißt, Sie erforschen eher die sozialen Auswirkungen von Projekten?

Nein, wir beschäftigen uns schon mit allen Aspekten der Nachhaltigkeit. Unseren Ansatz nennen wir „polychrom“, also vielfarbig. Die ökonomischen Aspekte sind die „schwarze Nachhaltigkeit“, „rote Nachhaltigkeit“ bezeichnet die sozialen Bedingungen. Die Brundtland-Kommission hat schon 1987 den Vorschlag gemacht, für die Untersuchung von Nachhaltigkeit ökonomische, soziale und ökologische Auswirkungen zu unterscheiden. Das ist wichtig, um diese Aspekte in Hinblick auf die gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit in Wert zu setzen. Wir versuchen in unserer Arbeit, die Teilbereiche zu erfassen und zu bewerten, um eine Bild vom gesellschaftlichen Gesamtnutzen eines Projekts zu bekommen.

Das klingt ein wenig abstrakt, haben Sie ein Beispiel dafür?

Wir waren gemeinsam mit dem MIT, Harvard und anderen Hochschulen an einem großen internationalen Forschungsprojekt zur naturnahen Regenwasserbewirtschaftung in Metropolregionen beteiligt. Die früheren ingenieurwissenschaftlichen Lösungen zielten darauf, Wasserläufe zu kontrollieren und aus dem städtischen Raum auszusperren. Heute kennen wir die Nebenfolgen: Hochwasser bei Starkregen und ein Mangel an Stadtgrün, worunter dann die Luftqualität und die Biodiversität leiden. Singapur hat stattdessen zum Beispiel wieder offene, renaturierte Wasserflächen geschaffen.

Und Sie haben die Folgen untersucht?

Genau, wir haben das mit unserem polychromen Ansatz untersucht. Wir haben zum Beispiel gemessen, wie diese neuen Wasser- und Grünflächen die Stadtschluchten belebt haben, wie diese Areale jetzt kühler waren als vergleichbare Stellen in Singapur, aber auch, wie sich das auf den Wert der Grundstücke ausgewirkt hat, der ist nämlich stark gestiegen. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, bewährtes Wissen immer wieder zu hinterfragen. Warum sollten sich Wasserbauingenieure mit Biodiversität auseinandersetzen? Nun ja, weil die von Ihnen entwickelten Lösungen großen Einfluss darauf haben, und eine Veränderung des Mind-Sets bessere Lösungen hervorbringt.

Ist das auch ein Ziel des HOCHTIEF-Forschungsprojekts?

Gerade im Bereich der öffentlichen Infrastruktur kann es nicht nur um Technik und Wirtschaftlichkeit gehen. Gesundheit, Sozialkapital, Lebens- und Umweltqualität können hier nicht außen vor bleiben. Da gibt es viel zu tun. Unserer Wahrnehmung nach entwickelt sich HOCHTIEF in diese Richtung, und wir wollen dabei unterstützen. Genauer gesagt: Wir wollen „Good Practice“-Konzepte im Bauprozess ausmachen, damit sich andere im Unternehmen daran orientieren können. Das ist nicht so einfach, denn HOCHTIEF hat keine standardisierten Produkte. Jedes Projekt hat seinen eigenen Kontext, kulturell, politisch, geografisch. Aber wir möchten trotzdem herausfinden: Wie kann es gelingen, zu einer transparenten, aufwandsangemessenen, übertragbaren Bewertung von Bauprojekten zu kommen, ohne das Rad ständig neu zu erfinden? Oder ohne andererseits Standards vorzugeben, die sich im konkreten Kontext kaum bewähren können? Das finden wir spannend.

Es gibt kaum noch ein Infrastrukturprojekt, ohne dass sich Widerstand in Bevölkerung regt. Woran liegt das? Und könnte der von Ihnen angestrebte Ansatz bei Akzeptanzfragen hilfreich sein?

Wenn ich ernst nehme, was ich gerade sagte, dass bei komplexen Bauvorhaben immer kontextspezifische, also lokale und regionale Gegebenheiten zu berücksichtigen sind, dann verbietet sich hier eine pauschalisierende Antwort. Ich kann da nur gesellschaftstheoretisch argumentieren. Wir leben in einer Industriegesellschaft, die dicht besiedelt ist. Jede Handlung berührt die Interessen anderer. Wir leben auch in einer Wissensgesellschaft mit einem wachsenden Anteil von Menschen, die über ausreichend Bildung verfügen sowie über den Willen, sich nicht einfach Expertenurteilen zu beugen. Und wir leben in einer Zivilgesellschaft. Vielen Klagen über verfallendes Sozialkapital wie Kirchen, Vereine usw. zum Trotz, zeichnen sich moderne westliche Wohlstandsgesellschaften durch eine zunehmende Dichte zivilgesellschaftlicher Organisationen aus, die den Sprachlosen, zum Beispiel Vögeln oder Insekten, eine Stimme geben. Sie können als Stakeholder nicht einfach übergangen werden.

Das ist also Ausdruck einer modernen komplexen Gesellschaft?

Genau. Einer Gesellschaft, die sich nicht einfach etwas verkaufen lässt. Zivilgesellschaften sind plural. Das passt nicht zu der Gutsherrenart, die manche Akteure vielleicht noch haben. Nehmen sie das Projekt Stuttgart 21. Dass da der Stadtpark abgeholzt wird, das war für die Leute jenseits ihres Verständnisses. Das hat die Bürger enorm mobilisiert. In einer Wissens- und Zivilgesellschaft können sie dann eigene Gutachten in Auftrag geben, und zwar von Wissenschaftlern, die andere Dinge im Fokus haben als die Bauherren.

Wie würden Sie an so ein Projekt herangehen?

Eines der Verfahren ist frühzeitige Einbeziehung aller Stakeholder, von Beteiligungsverfahren bis hin zu Volksabstimmungen. Das sehen wir bei HOCHTIEF bereits als ein sehr entwickeltes Prinzip. Auch bei unserer Begleitforschung beziehen wir die Beteiligten eines Projekts mit ein, die müssen damit einverstanden sein, weil das ja auch Zeit kostet.

Infrastruktur wie Straßen, Brücken oder Tunnel verbinden Menschen und Wirtschaftsräume. Handel bringt nicht nur ökonomisches Wachstum, sondern auch soziale und politische Annäherung – dachten wir bislang. Vor dem Hintergrund des Brexit und einem neuen Hang zum Protektionismus: „Konnektivität gleich Annäherung gleich Wachstum“, gilt diese Formel noch?

Fragen Sie mich das bitte nicht als Wissenschaftler. Zusammenarbeit ist ein permanenter Kampf. Ich nenne das unser Exoskelett, das wir uns schaffen, um uns zu entlasten: Institutionen, Recht, Organisationen, das sind Regelsysteme, die uns Halt geben. Aber wie alle Skelette sind sie ziemlich hart. Wie Goethe gesagt hat: Im ersten Schritt bist Du Herr, im zweiten bist Du Knecht – deines ersten Schrittes. Alle Regelsysteme ermüden uns irgendwann, werden selbstverständlich. Und wir tendieren dann dazu zu übersehen, was sie uns gebracht haben. Das liegt in der Natur der Exoskelette.

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Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl

Dem „Prinzip der Eisernen Disziplinlosigkeit“ sei er verpflichtet, sagt Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl über sich selbst. Der Leiter des Instituts für Sozioökonomik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und Direktor des dortigen European Center for Sustainability Research (ECS) beschäftigt sich mit zahlreichen Forschungsschwerpunkten. Der begeisterte Bergsteiger bewegt sich dabei im Schnittfeld von Soziologie, Ökonomie, BWL und Psychologie und forscht zu Modernisierung, Innovation, Nachhaltigkeit, Unternehmensstrategie, Arbeit und vielem mehr.