Aus dem Archiv: Dilettant an Bord (aus Mare No. 30)

Eine der wenigen Buchrezensionen, die ich in meinem Leben geschrieben habe, erschien im wundervollen Mare Magazin. Es war die Besprechung eines alten Reiseberichtes, der damals wieder neu aufgelegt worden war. Auf Adelbert von Chamisso war ich aufmerksam geworden, weil ich zu der Zeit ein eigenes Buchprojekt im Kopf hatte. Es war noch einige Jahre bevor Enzensberger Humboldt & Co. in seiner Anderen Bibliothek wieder aus der Versenkung holte.
Dilettant an Bord
Was Adelbert von Chamisso auf der Expedition des russischen Seefahrers Otto von Kotzebue erlebte. Ein maritimer Klassiker.
Da steht er nun, alleine an einem Kai in Kopenhagen, Anfang August 1815. Ein nicht mehr ganz junger Mann von 33, ohne wirkliche Profession und vermutlich ziemlich abgebrannt. Aber immerhin ein bisschen berühmt. Ein Märchen, „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“, hat er geschrieben, und das macht im sich aufklärenden Europa gerade die Runde. Aber nicht als Literat, sondern als Botaniker steht er hier vor der Gangway der russischen Brigg „Rurik“. Und ein paar Schritte nur trennen ihn vom größten Abenteuer seines Lebens. Einer Weltumseglung auf den Spuren großer Entdecker wie Humboldt, Cook und Krusenstern.
Was auch immer Adelbert von Chamisso in jenem Augenblick gefühlt hat, er behält es für sich. Und das ist durchaus gewollt. Das Buch „Reise um die Welt“, in dem er zwei Jahrzehnte später (1836) die Begebenheiten der dreijährigen Expedition unter Leitung von Otto von Kotzebue wiederauferstehen lässt, ist das nüchtern beobachtende Tagebuch eines Wissenschaftlers. Ein bewußter Kontrapunkt zum 1821 erschienenen offiziellen Expeditions-Bericht, den Kotzebue mit reichlich Seemannsgarn aufgepeppt hatte. Sich selbst, und das betont Chamisso ausdrücklich, lässt er bei der Geschichte außen vor.
Doch zum Glück ist von Chamisso ein zu begabter Erzähler, um den Leser mit den nackten Fakten alleine zu lassen. Vielmehr entpuppt er sich als ein Meister lakonischer Bemerkungen und charmanter Seitenhiebe – vor allem auf seinen launischen Kapitän Kotzebue. Immer wieder lässt er kleine Puzzlesteine fallen, die sich zu spannenden Hintergründen verdichten.

„Ich hatte noch in meinem Leben kein Schiff bestiegen“, schreibt Adelbert von Chamisso über den Beginn seiner Reise. Und doch wagt er sich an diesem Tag im August auf eine Fahrt, bei der er weder das Ziel noch seine genauen Aufgaben kennt. Letztendlich besitzt er zu diesem Zeitpunkt nur einen Zeitungsausschnitt mit der Ankündigung, Russland werde eine Entdeckungsexpedition zum Nordpol schicken. Und einen Brief des russischen Entdeckers und Admirals Krusenstern persönlich, der ihn zum „Titulargelehrten“ für eine Fahrt in die Südsee und um die Welt macht. Im Klartext: Der Mann hatte nicht die geringste Ahnung, auf was er sich da eingelassen hatte.
Weder wusste er, wie man sich auf einem Schiff zu verhalten hat, und wäre deshalb nach der ersten Etappe beinahe wieder von Bord komplimentiert worden. Noch konnte er besondere wissenschaftliche Qualifikationen vorweisen. Eine Zeit lang hatte er sich an der Berliner Universität dem Studium der Natur gewidmet, aber zuvor „nie ernstlich eine Schule besucht“. Dass er überhaupt auf diese Reise mitgenommen wurde, verdankte er einiger glücklicher Umstände: Seiner adeligen Herkunft, der Krankheit des ursprünglich vorgesehen Wissenschaftlers und den Kontakten eines Freundes zum Königsberger Staatsrat August von Kotzebue. Der auch als Dichter bekannte Politiker wiederum war nicht nur der Vater des zum Expeditionsleiter erkorenen Otto, sondern zudem Schwager des russischen Admirals Krusenstern.
Die europäische Welt war eben klein damals. Und der Rest noch so unbekannt und unerforscht, dass Adelbert von Chamisso in den drei Jahren der Kotzebue-Expedition Wissenschaftsgeschichte schreiben konnte. Obwohl Teile seiner Ausbeute von den Matrosen über Bord geworfen wurden, kehrte er als erfolgreicher Botaniker heim. Er erhielt eine Stellung beim Berliner Botanischen Garten, wurde zum Mitbegründer der Pflanzengeographie und hatte unterwegs ein Naturphänomen beobachtet, für dessen Entdeckung er bis heute einen festen Platz in der Biologie hat: den alternierenden Generationswechsel der Salpen. Die kleinen Manteltierchen wechseln ihre beiden Ausprägungen mit jeder neuen Generation.
Die Kotzebue-Expedition an sich leistete wertvolle Arbeit bei der Entdeckung und Kartierung zahlreicher Südsee-Atolle und erforschte in der Beringstraße einen Teil Alaskas, der noch heute als Kotzebue-Sund firmiert. Mit Adelbert von Chamisso hatte sie wohl einen genialen Wissenschafts-Dilettanten an Bord. Ganz sicher aber einen begabten Chronisten, dessen Aufzeichnungen einen höchst lebendigen Eindruck von der Zeit vermitteln, als die Welt noch weitgehend Neuland war.
(erschienen in Mare No.30)
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